Testimonial von Michael Kerbler für Baum 43

Ohne Pressefreiheit keine Gedankenfreiheit keine Meinungsfreiheit

Warum hier im „Hain der Flucht“ dieser Baum, mit dem an die Bedeutung der Medien erinnert wird, steht?
Weil es ohne freie Presse keine Pressefreiheit gibt.
Weil es ohne Pressefreiheit keine Gedankenfreiheit und keine Meinungsfreiheit geben kann. Und wenn die Meinungsfreiheit gefällt wurde, dann sind davor schon längst auch Versammlungsfreiheit und Religionsfreiheit, also das Recht Gewerkschaften zu gründen oder seinen Gottesdienst zu feiern, abgeschafft worden.
Aber wir haben das Recht auf Recht, so hat es die Philosophin Hannah Arendt einst formuliert. Das ist wohl der wichtigste Leitgedanke für die UN-Menschenrechtsdeklaration, deren erster Satz lautet: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“
Wir alle haben ein Recht auf Leben. Flucht ist eine uns angeborene Reaktion, wenn unser Leben in Gefahr ist. Wenn Sicherheit gesucht wird, wenn Menschen sich mit ihren Kindern in Sicherheit bringen müssen. Dort wo Menschen auf der Flucht sind, dort wo die Versammlungsfreiheit aufgehoben ist, dort hat die Presse schon längst aufgehört frei zu sein. Das muss nicht bedeuten, dass Pressezensur verhängt wurde. Wir wissen von „Reporter ohne Grenzen“, dass Journalisten und Journalistinnen zusammengeschlagen, inhaftiert, gefoltert, ja ermordet werden, um sie mundtot zu machen. Das Ziel ist klar: die journalistische Zunft des Landes soll damit zum Schweigen gebracht werden. Oder in die Emigration, zur Flucht gezwungen werden.
So gesehen kann dieser Baum im „Hain der Flucht“ als wichtiger Indikator betrachtet werden. Fällt der Baum, weil er morsch oder umgesägt wurde, fällt die unabhängige Presse, dann bald andere Freiheiten. Und es dauert nicht lange, und es sind wieder Menschen auf der Flucht.
Damit dies nicht geschieht gilt es die (ökonomische) Freiheit der Presse, des Radios, des Fernsehens und des Internets zu verteidigen. Hier in Österreich, in Europa, weltweit.
Ich erinnere an Stéphane Hessel, der zuerst in der Résistance, der französischen Widerstandsbewegung, gegen die Nazis gekämpft hat und nach dem Zweiten Weltkrieg an der Formulierung der UNO-Menschenrechtsdeklaration mitgewirkt hat. Hessel hat uns stets dazu aufgefordert Geist und Inhalt dieser Charta zu verteidigen und uns zugerufen: „Engagiert euch!“ Müßig auf den bequemen Plätzen der Zuschauerdemokratie zu sitzen (unter)stützt nur jene, die eine Gesellschaft präferieren, in der man das Recht zahnlos, die Justiz blind und die Menschen gleichgültig füreinander macht.
„Ich habe immer daran geglaubt, dass das Gegenteil von Liebe nicht Hass ist, sondern Gleichgültigkeit. Das Gegenteil von Glaube ist nicht Überheblichkeit, sondern Gleichgültigkeit. Das Gegenteil von Hoffnung ist nicht Verzweiflung, es ist Gleichgültigkeit. Gleichgültigkeit ist nicht der Anfang eines Prozesses, es ist das Ende eines Prozesses.“ Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel, der die KZs Auschwitz und Buchenwald überlebte, hat uns diese Gedanken hinterlassen.
Unsere Gleichgültigkeit kann uns die Freiheit kosten.
Und jetzt stellen Sie sich kurz vor, es schreibt dann niemand darüber.
Weil es keinen freien Journalismus und keine freien Medien mehr gibt.